Für die Weiterentwicklung der Rechtsstaatsmechanismen nach
Art. 7 EU-Vertrag (mit Konditionalisierung von Kohäsionsmitteln)

Wir Freie Demokraten setzen gegenüber den europäischen Partnerländern auf Dialog und Überzeugungskraft. Dort, wo Freiheits- und Bürgerrechte entgegen der EU-Grundrechtecharta systematisch eingeschränkt oder die Werte der Union schwerwiegend gefährdet werden, müssen der Europäischen Union (EU) wirksame Sanktionsmechanismen zur Verfügung stehen. Zu den gemeinsamen Werten gehören die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte. Es ist für uns Freie Demokraten selbstverständlich, dass unter anderem die Gewährung finanzieller Mittel an einen Mitgliedstaat an die Einhaltung der gemeinsamen Werte, die Wahrung von Bürgerrechten und die Existenz einer rechtsstaatlichen Ordnung mit unabhängiger Justiz geknüpft sein müssen. Wir treten deshalb dafür ein, dass neben den EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips mit seinen Dialogmechanismen und dem Entzug von Stimmrechten nach Art. 7 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ein drittes Vorgehen ermöglicht wird, nach dem die Verteilung von Mitteln an die Europäischen Mitgliedstaaten von der Beachtung dieser Werte abhängig gemacht werden kann (Konditionalitätsklauseln). Dabei müssen Sanktionsmechanismen so ausgestaltet sein, dass sie nicht durch eine kleine Minderheit von Mitgliedstaaten blockiert werden können. Insbesondere sollen Mitgliedstaaten, gegen die bereits ein ähnliches Verfahren läuft, dabei von der Stimmabgabe ausgeschlossen sein.Ferner soll die Kommission verpflichtet werden, über die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7 EUV zu entscheiden, falls die europäische Grundrechteagentur eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der Werte der Union feststellt. Die EU-Kommission soll darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, „systemische Vertragsverletzungsverfahren" einzuleiten, indem sie eine Reihe spezifischer Vertragsverletzungsverfahren gegenüber einem Mitgliedstaat bündeln kann, die zusammen ein Muster erkennen lassen, das eine schwerwiegende Verletzung der Werte der EU, wie Demokratie die Existenz unabhängiger Medien und einer rechtsstaatlichen Ordnung, nahelegt. Auf diese Weise könnten der Europäische Gerichtshof und die EU-Kommission schneller und wirksamer gegen hartnäckig vertragsverletzende Mitgliedstaaten vorgehen.

Zitat aus dem Wahlprogramm der Freien Demokraten

Die Argumente der FDP Auslandsgruppe Europa:

Art. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) regelt die sog. „Suspendierung“ der EU-Mitgliedschaft einzelner Mitgliedstaaten im Falle der „Verletzung fundamentaler Grundsätze“. Eine solche Verletzung wird angenommen, wenn ein Mitgliedstaat gegen seine in Art. 2 EUV festgelegten Grundpflichten verstößt. Hierzu gehören die „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“

Die Regelung des Art. 7 EUV sieht ein mehrstufiges Vorgehen vor. Demnach reicht nach Absatz 1 für die Feststellung einer „eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ eine Vier-Fünftel Mehrheit des Rates aus. Die „schärfere“ Feststellung einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ nach Absatz 2 muss u.a. der Rat der Europäischen Union einstimmig beschließen (jeder Mitgliedstaat muss also zustimmen), wobei die Stimme des betroffenen Mitgliedstaats nicht zählt. Sodann kann der Rat gemäß Absatz 3 den Beschluss fassen, bestimmte Rechte (z. B. die Stimmrechte) des betroffenen Mitgliedstaats auszusetzen.

Am 20.12.2017 hat die EU-Kommission erstmals einen Vorschlag zur Einleitung eines solchen Verfahrens gegen Polen vorgelegt, da Polen mit seiner durchgreifenden Justizreform nach Auffassung der Kommission das Rechtsstaatsprinzip schwerwiegend und anhaltend verletzt. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dieses Verfahren erfolgreich sein wird, da u. a. Ungarn angekündigt hat, Polen zu unterstützen. Seit Mitte 2018 gibt es Bestrebungen, ein solches Verfahren auch gegen Ungarn aufgrund diverser Grundrechtsverstöße einzuleiten.

Im Europäischen Parlament stimmten am 12. September 2018 mehr als zwei Drittel der Abgeordneten erstmals für die Feststellung einer eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung fundamentaler Grundsätze eines Mitgliedstaats – nämlich Ungarn. Die Europaabgeordneten der FDP stimmten alle für diese Feststellung.

Um eine Sanktionierung eines Mitgliedstaats besser umzusetzen, werden u.a. die Kürzung oder Streichung finanzieller Mittel diskutiert. Allerdings ist hier zu beachten, dass viele finanzielle Mittel der EU der Stärkung der Zivilgesellschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten zu Gute kommen. Und gerade eine starke Zivilgesellschaft ist nötig, um nationalen und EU-feindlichen Tendenzen entgegenzuwirken. Daher könnte eine Kürzung oder Streichung finanzieller Mittel am Ende denen zur Last fallen, die die europäischen Werte von Demokratie und Freiheit in dem betroffenen Mitgliedstaat verteidigen.

Derartige Konditionalitätsklauseln werden derzeit im Rahmen des neuen mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027 diskutiert. Die Freien Demokraten setzen sich dafür ein, dass dieses Druckmittel insbesondere in die Struktur- und Kohäsionspolitik Einzug findet. Wenn die Verletzung der Grundwerte zugleich eine gesetzte Norm des europäischen Rechts (wie eine Vertragsvorschrift, eine Verordnung oder eine Richtlinie) verletzt, kann die Kommission auch eine Vertragsverletzungsklage vor dem EuGH erheben. Im Oktober 2018 hat der EuGH aufgrund einer solchen Klage Polen im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Entlassung von Richtern zum Obersten Gerichtshof rückgängig zu machen. Wir begrüßen derartige Schritte und fordern die Kommission auf, systematischer derartige Missstände vor den EuGH zu bringen.